„Nicht erst sechs Wochen warten“ — Das Integrationsmanagement bei der Carl Zeiss Gruppe

Ein über rund zehn Jahre entwickeltes Integrationsmanagement beim Carl Zeiss Konzern zielt auf die frühzeitige Intervention bei Kolleginnen und Kollegen mit Behinderungen, bei chronisch und Langzeiterkrankten und auch bei Kolleginnen und Kollegen mit häufigen Kurzzeiterkrankungen. Grundlage ist eine 2002 abgeschlossene Integrationsvereinbarung für den gesamten Konzern. Positiv bewährt hat sich die Schaffung eines Kooperationsnetzwerks mit Akut- und Reha-Kliniken und ähnlichen Einrichtungen.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement gibt es bei der Carl Zeiss Gruppe nicht erst, seit im Mai 2004 der neue § 84 des Sozialgesetzbuches (SGB) IX in Kraft trat. Ein systematisches Eingliederungsmanagement kann dort inzwischen auf eine fast zehnjährige Geschichte zurückblicken. Systemtische Integration schwerbehinderter und erkrankter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt sich nicht von heute auf morgen, sagt Ronald Weinschenk, Vertrauensperson schwerbehinderter Menschen für den Gesamtkonzern. Er arbeitete im Carl Zeiss Werk Oberkochen in Baden-Württemberg.

Integrationsarbeit seit 1996 Seit 1996 ist bei Carl Zeiss die Schwerbehindertenvertretung Ansprechpartner für kranke und langzeiterkrankte Beschäftigte. Damals gab es auch erste Absprachen mit dem Personalmanagement des Unternehmens und dem Betriebsrat. 1998 kam ein erster Entwurf einer Vereinbarung für ein „Zeitgemäßes soziales Management“ im Unternehmen zu Stande. Zwei Jahre später, im Jahr 2000, legte die Schwerbehindertenvertretung erstmals den Rohentwurf einer Integrationsvereinbarung vor. 2001 wurde dieser Entwurf allen Betriebsräten des gesamten Konzerns vorgestellt. Dazu gab es einen Initiativantrag der Schwerbehindertenvertretung an Betriebsräte, Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat. Es wurde eine Verhandlungskommission gebildet mit dem Ziel, eine unterschriftsreife Integrationsvereinbarung auf Konzernebene zu erarbeiten. Auftakt dazu bildete ein dreitägiger Workshop mit Referenten des VdK. Anfang 2002 kam mit einer Auftaktveranstaltung im Konzern, an der neben den Arbeitgebern auch Betriebsräte und Schwerbehindertenvertretungen teilnahmen, die Integrationsvereinbarung auf die Zielgerade. Abgeschlossen wurde sie am 30. September 2002 und wird seither umgesetzt. Integration als Teil der Unternehmensstrategie. Daneben gibt es inzwischen mehrere Kooperationsvereinbarungen mit den Waldburg-Zeil Kliniken, der Deutschen Rentenversicherung in Baden Württemberg, der BKK Schott-Zeiss und weiteren Krankenkassen wie AOK, GEK u.a. regionalen und überregionalen Vertragspartnern, die an der Umsetzung der Rehabilitations- und Präventionskonzepte mitarbeiten. In den Werken Aalen (2003) und Oberkochen (2004) wurden auch eigene Betriebsvereinbarungen zur Integration abgeschlossen.

Die Konzern-Integrationsvereinbarung dient dem Ziel, „Chancengleichheit für alle Beschäftigten in der Carl Zeiss Gruppe zu erreichen sowie Diskriminierung und soziale Ausgrenzung von Krankheit, Behinderung und Schwerbehinderung betroffener Beschäftigter zu verhindern.“ Dazu bedarf es der partnerschaftlichen Zusammenarbeit aller Beteiligten im Unternehmen, und dies, so Ronald Weinschenk, ist auch gegeben, etwa in einer guten Kooperation mit der Personalleitung, und dokumentiert sich auch in der Integrationsvereinbarung. Es besteht im Unternehmen Übereinstimmung darin, heißt es dort, „dass gesunde, motivierte und erfahrenen Beschäftigte das wichtigste Kapital für erfolgreiches unternehmerisches Handeln sind“. „Deshalb unterstützt der Vorstand der Carl Zeiss Gruppe die Bemühungen um ein optimales betriebliches Gesundheits-, Sicherheits- und Sozialmanagement sowie ein positives Betriebsklima.“ Diese Herangehensweise, so Weinschenk, schlägt sich auch positiv in der betrieblichen Wertschöpfung nieder und trägt zur Senkung der Krankenquote bei.

Frühzeitige Intervention im Betrieb hat sich bewährt

Das Integrationsmanagement im Betrieb bezieht sich auf behinderte und schwerbehinderte Beschäftigte, auf Beschäftigte in medizinischer und beruflicher Rehabilitation und auf Kranke: auf chronisch und Langzeiterkrankte, aber auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die häufig kurzzeiterkrankt sind, suchtkrank, lernbehindert oder mobilitätsbehindert.

„Unser Eingliederungsmanagement reagiert bereits nach 20 bis 25 Fehltagen - je nach individueller Situation. Sechs Wochen abzuwarten, wie es im Sozialgesetzbuch vorgesehen ist, kann in vielen Fällen zu lang sein“, sagt Ronald Weinschenk, „z.B. bei Suchtproblemen oder bei psychischen Beschwerden. Je länger jemand allein gelassen wird, desto größer ist die Gefahr, dass sich die Probleme verschlimmern. Wir legen deshalb Wert darauf, frühzeitig einzugreifen.“
Interventionen sind z.B. auch nach auffälligen und häufigen Kurzzeiterkrankungen oder spätestens nach vier bis fünf Krankschreibungen in Folge vorgesehen. Dazu gibt es Instrumente der frühzeitigen und aktiven Kontaktaufnahme zu den betroffenen Kolleginnen und Kollegen, Anschreiben an die jeweiligen Mitarbeiter/innen, Beratungen im Integrationsteam und überhaupt gezielte Einzelfallberatung.

Individuelle Lösungen

Ronald Weinschenk nennt Beispiele: Eine 36-jährige Kollegin z. B. wurde über mehrere Wochen von Arzt zu Arzt geschickt, ohne dass sich die Schmerzen an ihrer Wirbelsäule verbesserten. Dank der Kooperationsstruktur mit einer Akutklinik konnte sie, als der Fall erkannt war, binnen drei Tagen dort untergebracht werden. Bei einem anderen Mitarbeiter, berichtet der Schwerbehindertenvertreter, konnte noch vor der Krankschreibung reagiert werden. Ihm drohte eine Abmahnung wegen häufigen Zuspätkommens. Es stellte sich dann heraus, dass dahinter massive private Probleme standen, die dann in einer psychosomatischen Fachklinik angegangen wurden.

Insgesamt, so Ronald Weinschenk, gehört es zum Integrationsmanagement, für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen Fähigkeitsprofile zu entwickeln, die Arbeitsplätze nach Bedarf und Möglichkeit individuell abgestimmt ergonomisch umzugestalten, auch die Arbeitsprozesse zu verändern, ggf. die Betroffenen in andere Tätigkeiten zu qualifizieren oder nach Langzeiterkrankungen eine Anpassungsqualifizierung zu erreichen.

Aufgaben des Integrationsteams

Ziel des Integrationsmanagements ist, den Beschäftigten ihren Arbeitsplatz zu erhalten und erkrankten Mitarbeitern/ innen eine positive Arbeitsplatzperspektive zu verschaffen, ihre berufliche Leistungsfähigkeit zu erhalten, die Neueinstellung von behinderten und schwerbehinderten Menschen zu ermöglichen, Maßnahmen der Prävention und Rehabilitation umzusetzen, die frühzeitige Rückkehr nach Krankheiten und Unfällen zu ermöglichen, eine drohende Aussteuerung zu vermeiden und den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu optimieren.

Zu den in der Integrationsvereinbarung vorgesehenen Integrationsteams gehören Vertreter/innen der Schwerbehindertenvertretung, des Betriebsrats, der Personalmanagements und die jeweiligen Beauftragten des Arbeitgebers. Fallweise und individuell werden Betriebsärzte und die Arbeitssicherheit eingeschaltet. Bei Bedarf können innerbetriebliche und externe Beratung hinzugezogen werden. In den einzelnen Betrieben und Standorten des Konzerns in Deutschland wurden auf dieser Grundlage wiederum eigene Integrationsteams eingerichtet, deren Mitglieder gemeinsam von Personalmanagement, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung benannt wurden - so etwa sechs solcher Teams in Oberkochen, zwei in Aalen, je zwei in Jena und Wetzlar und eines in Calmbach und eines in Göttingen. Die Teams treffen sich recht häufig und regelmäßig - einmal bis vier Mal im Monat. Zu ihren Aufgaben gehört die Planung von Gesundheitsmaßnamen für Beschäftigte. Aktuell wurden in Wetzlar soeben ein Gesundheitstag abgehalten und eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt.

Führungskräfte werden qualifiziert

Augenmerk liegt auch auf der Qualifizierung der Führungskräfte für die Aufgaben des Integrationsmanagements. Die Integrationsvereinbarung sieht hierzu die „Entwicklung der sozialen Kompetenz von Führungskräften und Personalverantwortlichen“ sowie den „partnerschaftlichen Umgang mit den Beschäftigten“ vor. Weiter heißt es dort: „Führungs- und Führungsnachwuchskräfte und die Personalmanager werden auf den Umgang mit kranken, gesundheitsbeeinträchtigten, behinderten und schwerbehinderten Beschäftigten gesondert geschult. Die Inhalte dieser Schulungen werden zusammen mit den Integrationsteams festgelegt. Die Teilnahme an der Schulung ist für alle Führungskräfte und Personalverantwortlichen in der CarI Zeiss Gruppe verpflichtend. Das betriebliche Lernzentrum bietet spezielle Kurse und Seminare an.“

Weitere Informationen
  • Carl Zeiss AG, Abt. 5V, Ronald Weinschenk, CarI Zeiss Straße 22, 73447 Oberkochen, Tel.: 07364-2029 19, Fax: 07364-20 23 70, E-Mail: r.weinschenk@zeissde, www.zeiss.de. Die Konzern-Integrationsvereinbarung kann per E-Mail bei Ronald Weinschenk angefordert werden. Mit dem Suchbegriff „Konzern-Integrationsvereinbarung Carl Zeiss Gruppe“ gelangt man auch unter www.schwbv.de zum Volltext der Vereinbarung.
  • Text entnommen der Zeitschrift „gute ARBEIT: Zeitschrift für Gesundheitsschutz und Arbeitsgestaltung“
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